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Baron von Münchhausen versus Pinocchio

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Ein eher unbedeutender Zwischenfall im sächsischen Arnsdorf veranschaulicht, wie unterschiedlich Medien faktisch nachweisbare Geschehnisse nach eigener Gesinnung interpretieren. Ein als psychisch kranker Asylbewerber stiftet Unruhe in einer Netto- Filiale. Der Iraker konnte aufgrund von Sprachproblemen offenkundig ein Problem mit einer dort gekauften SIM- Karte nicht artikulieren. Demgegenüber konnte die Mitarbeiterin des Einkaufsmarktes das Problem des Mannes nicht zu dessen Zufriedenheit lösen. Womöglich war das Guthaben der SIM- Karte bereits aufgebraucht und die Angestellten des Einkaufsmarktes versuchten den Asylbewerber zum Verlassen des Ladens bewegen. Es muss bereits der dritte Anlauf des Irakers gewesen sein und er wurde von der Polizei schon zweimal zurück in die ortsansässige Klinik gebracht. Die Situation war angespannt und der Iraker wollte eine Flasche, die er in der linken Hand hielt, trotz Aufforderung nicht ins Regal zurück stellen. Plötzlich stürmte eine Gruppe Männer zielsicher auf den Asylbewerber zu und überwältigen diesen unter Anwendung von körperlicher Gewalt. Die 4 Personen sollen zu einer selbsternannten Bürgerwehr gehören, was aus der Aussage einer Kundin und den Aufdrucken auf deren T- Shirts hervorging. Die Männer fesselten anschließend den Iraker mit Kabelbindern an einen Baum, um nach eigenen Aussagen dessen Flucht zu verhindern.

Dieser Artikel soll nun weniger die juristischen Aspekte des Vorfalls behandeln, sondern vergleicht die Berichterstattung diverser Medien. Da ein Videomitschnitt des Vorfalls existiert, besitzt man die seltene Gelegenheit, die jeweilige Berichterstattung möglichst objektiv vergleichen zu können, sofern man dazu in der Lage ist bzw. das überhaupt möchte. Die Überschriften verschiedener Nachrichtenportale lassen schon erkennen, ob und wie manipulativ der Artikel dahinter sein wird.

Männer vertreiben Asylbewerber aus Supermarkt und binden ihn an Baum (Quelle: https://mopo24.de/nachrichten/arnsdorf-netto-supermarkt-iraker-asylbewerber-bedrohen-kabelbinder-festbinden-69243)

Bürgerwehr geht auf kranken Flüchtling los (Quelle: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/arnsdorf-in-sachsen-buergerwehr-geht-auf-kranken-fluechtling-los-a-1095388.html)

Flüchtling randaliert in Supermarkt (Quelle: http://www.pi-news.net/2016/06/arnsdorf-fluechtling-randaliert-in-supermarkt/)

Angebliche Bürgerwehr greift Asylbewerber an (Quelle: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-06/arnsdorf-sachsen-fluechtling-buergerwehr-supermarkt)

Sächsische Bürgerwehr quält psychisch kranken Flüchtling (Quelle: http://www.stern.de/panorama/stern-crime/saechsische-buergerwehr-quaelt-psychisch-kranken-fluechtling-6881128.html)

Flüchtling im Supermarkt von Bürgerwehr aus dem Laden geworfen (Quelle: https://politikstube.com/arnsdorf-fluechtling-im-supermarkt-von-buergerwehr-aus-dem-laden-geworfen/)

Unschwer erkennt der geübte Leser, dass gewisse Tendenzen nicht zu leugnen sind. Zugegebenermaßen ist das Video nicht von bester Qualität, aber gewisse Sachverhalte lassen sich nicht leugnen.

Der Bedrohung mit der Weinflasche vorausgegangen war der Fakt, dass der Mann zuvor bereits zwei Mal im Netto erschienen war… Anschließend war der Mann so in Rage, dass er sich die Weinflasche schnappte und die Mitarbeiterin bedroht haben soll.

Es gibt nicht den geringsten Hinweis auf eine Bedrohungslage in der hier geschilderten Form. Schlimmstenfalls könnte man besorgt darüber sein, dass jemand, der sich in Aufregung befindet, eine Flasche in der Hand hält. Die Schlussfolgerung, dass der Iraker diese Flasche als Waffe einsetzen könnte, ist abenteuerlich, allerdings nicht völlig unwahrscheinlich. Aber er hat die Mitarbeiterin zu keinem Zeitpunkt mit der Flasche bedroht. Ob eine verbale Bedrohung vorlag, kann wegen den offensichtlich beidseitigen Verständigungsproblemen nicht zweifelsfrei geklärt werden.

Das rechtspopulistisch angehauchte Online- Magazin PI- News will sogar einen Diebstahl erkannt haben.

Ein gestern veröffentlichtes Video zeigt einen „Flüchtling“ in Arnsdorf (Sachsen), der beim Klauen zweier (Wein?)Flaschen in einem Netto-Supermarkt erwischt wurde.

Der Iraker befindet sich innerhalb des Netto- Marktes hinter der Kassenzone. Er hat weder die Flasche(n) eingesteckt noch ist aus der Situation zu schließen, dass er den Wein (?) stehlen wollte.

Schließlich kommen drei kräftige Männer einer Lokalen Bürgerwehr, nehmen dem „Flüchtling“ die Flaschen ab und eskortieren ihn nach draußen. Kurz vor dem Verlassen des Supermarktes will sich der Ladendieb losreißen und versucht gewalttätig zu werden. 

Die Darstellung des Vorfalls aus Sicht von PI- News verharmlost das durchaus vehemente Einschreiten jener Bürgerwehr und stellt den Iraker als gewalttätigen Ladendieb dar. Offensichtlicher kann man gar nicht mehr lügen…

Das Magazin „Der Stern“ übertreibt hingegen in die andere Richtung:

Es ist eine weitere Geschichte aus Sachsen, die einen erschreckenden Umgang mit Flüchtlingen dokumentiert: Im sächsischen Arnsdorf haben mehrere Männer einen Asylbewerber geschlagen, gewaltsam aus einem Supermarkt getragen und an einen Baum gefesselt.

In deren Auslegung der Geschehnisse wird der Eindruck vermittelt, als würde in Sachsen unverhohlen Lynchjustiz an unschuldigen Asylbewerbern betrieben. Auch diese Darstellung entspricht nicht den Tatsachen. Das Vorgehen der 3 oder 4 Männer, die den Iraker ohne vorherige Deeskalationsversuche gewaltsam überwältigten, war in dieser Form unangemessen.

Es ist ein beeindruckendes Paradebeispiel, wie manipulativ allein die Schlagzeilen wirken können, wenn man nicht die Möglichkeit besitzt, sich selbst ein Bild von den Vorkommnissen zu machen.

Den sprichwörtlichen „Vogel“ schießt allerdings der selbsternannte Oberpatriot der Retter des christlichen Abendlandes, Lutz Bachmann, ab.

LutzBachmannAusgerechnet jener Herr Bachmann, der keine Gelegenheit auslässt, alle ihm nicht gewogenen Medienvertreter als Lügenpresse zu beschimpfen, bedient sich ungeniert der falschen Behauptungen.

LutzBachmann2Seine Anhänger aus dem PEGIDA– Umfeld klatschen verbal Beifall und überschlagen sich quasi mit rassistischen Äußerungen und Pöbeleien.

Sie merken nicht einmal, wie sie sich selbst entlarven…

 

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Der beschämende Geburtstag von Pegida

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Akif Pirinçci beginnt vorm Rednerpult von Pegida am 19. Oktober 2015 mit folgenden einleitenden Worten:

„…deshalb habe ich eine Originalrede nur für diesen Anlass geschrieben“

Es ist der Nachweis, dass die umstrittene Rede des Herrn Pirincci keineswegs unüberlegt oder dem Eifer der Situation geschuldet war. Alles war präzise so geplant, was danach ins Mikrofon posaunt wurde. Die Ausrede, dass der Protagonist sich während der Veranstaltung unkontrolliert in seiner Wortwahl vergriffen habe, darf zweifelsfrei ausgeschlossen werden.

„Es geht um die Auswechslung einer Bevölkerung gegen eine andere…“

Er zitierte damit aus seinem Pamphlet „Die Umvolkung“ und vergleicht die aktuelle Flüchtlingskrise mit der ethnischen Säuberung der Nationalsozialisten im 3. Reich. Das darf er, da dies durch das verbriefte Recht der Meinungsfreiheit jedem Bürger zugestanden werden muss. Ob es jedem gefällt oder gar der Wahrheit entspricht, ist zunächst irrelevant.

Er zitierte den Kommunalpolitiker Lübcke(CDU) bei einer Informationsveranstaltung wegen der Unterbringung von Asylbewerbern. Er bezeichnete die 400 Flüchtlinge pauschal als Invasoren.

„Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jeder Zeit verlassen.“

war die nachweisliche Antwort des Regierungspräsidenten von Kassel, Walter Lübcke, auf die Einwände einer Person aus dem Publikum:

„…aber das wollen wir nicht“

Dieser Einwand soll sich gegen die Errichtung des Erstaufnahmelagers gerichtet haben, was jedoch spekulativ bleibt. Zudem war es eine Aussage einer Einzelperson, die allerdings für sich beanspruchte, für ein undefiniertes Kollektiv(wir) zu sprechen. Ebenso spekulativ bleibt die Deutung der Aussage des Herrn Lübcke, welche Werte überhaupt gemeint waren. Im Kausalzusammenhang darf man jedoch darauf schließen, dass das Recht auf Asyl damit gemeint sein musste.

„Mit Werten ist gemeint, dass jeder Dahergelaufene, der seinen Fuß illegal auf deutschen Boden setzt, das Recht erzwingen darf, sich bis zu seinem Lebensende und das seines Clans von den Scheißkartoffeln auf Luxusniveau verköstigen zu lassen.“

Diese Werte, wie sie Herr Pirincci zu glauben scheint, gibt es überhaupt nicht. Ein Blick ins deutsche Asylrecht widerlegt seine exotische Behauptung. Maßlos übertrieben mag es manchen Leuten so vorkommen, aber die Realität ist eine völlig andere.
Es folgte die denkwürdige Aussage von Pirincci:

„Offenkundig scheint man bei der Macht die Angst und den Respekt vor dem eigenen Volk so restlos abgelegt zu haben, dass man ihm schulterzuckend die Ausreise empfehlen kann, wenn er gefälligst nicht pariert. Es gäbe natürlich andere Alternativen, aber die KZ sind ja derzeit außer Betrieb.“

Dass er den umstrittenen Satz mit der KZ- Alternative sehr kalkuliert an diese Stelle positionierte, besitzt durchaus juristische Spitzfindigkeit. Schließlich hat er ja seine Rede sorgfältig vorbereitet, wie man weiß und er ist Schriftsteller…
So bezieht sich die Aussage rein rhetorisch auf deutsche Bürger, die nicht deutsche Gesetze wertschätzen wollten. Hingegen ist es allerdings rechtlich vollkommen ausgeschlossen, dass seine sogenannte Alternative in einem demokratischen Staat als Maßnahme selbst gegen übelste Volksverhetzer Anwendung finden könnte. Vermutlich wird man ihm juristisch kaum jene Volksverhetzung nachweisen können, wenngleich seine gesamte Rede nichts anderes darstellte. Das war perfekt inszenierte rechtsextreme Propaganda und als solche sollte man sie erkennen und bewerten. Die Reaktionen aus dem Pegida- Publikum sind überwiegend zustimmend, was die eigentlich erschütternde Erkenntnis bleibt.

„…der mit der deutschen Kultur so viel gemein hat wie mein Arschloch mit Parfümherstellung.“

Pirincci taucht gern und bewusst in die Niederungen der Fäkalsprache ein, weil man damit Aufmerksamkeit gewinnt. Hätte er sich niveauvoller ausgedrückt, müsste man davon ausgehen, dass sich die Aussagen weit weniger in den Köpfen der Zuhörer manifestieren würden. Dass er damit medial für Aufsehen und Entrüstung gesorgt hat, beweist nachhaltig, dass diese Strategie funktioniert.

„Sie wissen schon, dass die primitiven Fürze in den Köpfen dieser Fremden nix mit Religion zu tun haben, als vielmehr mit ihrer höchst krankhaften Beschäftigung, mit allem, was nach Fickerei und Gewalt riecht, wobei ihnen ein gewisser Allah den Weg weist.“
„…nachdem sie über sie hergefallen sind und ihren Moslemsaft in sie hineingepumpt haben.“

Eigentlich ist die Rede des Bestseller- Autors Pirincci inhaltlich ausgesprochen schwach und katapultiert ihn als Schriftsteller hoffentlich aus den Bücherregalen anständiger Menschen und den Angebotslisten des Buchhandels. Da sollten ihn seine Katzengeschichten auch nicht mehr retten dürfen. Man kann seine Auslassungen bestenfalls als rechtsradikale Hirnseuche etikettieren. Seine Schlussfolgerungen, die er aus relativ unbedeutenden Geschehnissen ableitet, klingen nicht einmal plausibel. Gute Verschwörungstheoretiker müssen schon tiefer in die Trickkiste der Propagandastrategie greifen, um ideologische Hirnwäsche an potenziellen Opfern betreiben zu können.

Die Pegida- Bewegung als solche steht in gewisser Weise vor einem Scheidepunkt. Selbst der „Godfather“ von Pegida, Lutz Bachmann, sah sich gezwungen, dem fremdenfeindlichen Hassprediger das Mikrofon zu entreißen und im Nachgang eine Entschuldigung für diesen Redner zu verkünden. Man darf es als Schadenbegrenzung auffassen, denn die Dosis an Rassismus und Rechtspopulismus war schlichtweg zu hoch für eine Veranstaltung von lediglich besorgten Bürgern. Die Spaziergänger von Pegida laufen bewusst Leuten hinterher, die unumstritten der rechten Szene zuzuordnen sind. Es existieren hervorragende Beziehungen zu Geert Wilders, Vorsitzender der rechtspopulistischen Partei für die Freiheit, zu Heinz- Christian Strache, Chef der FPÖ, oder auch Michael Stürzenberger, Vorsitzender der Kleinpartei Die Freiheit, welche auch teilweise bei Pegida aufgetreten sind. Man kann nicht diesen Leuten hinterher laufen und ihnen Beifall spenden und gleichzeitig behaupten, kein Nazi zu sein. Dieser Widerspruch lässt sich nicht einfach wegdiskutieren.

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