Gedanken und Statements zur Wahl

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Am Sonntag ist es mal wieder so weit. Wir sind aufgerufen, unser Wahlrecht auszuüben, in manchen Landkreisen parallel zur Europawahl auch auf kommunaler Ebene. Im Grunde bedeutet das, die Alibi-Funktion unserer repräsentativen Demokratie zu aktivieren, damit wir uns in den nächsten paar Jahren der wohltuenden Illusion hingeben können, Einfluss auf die Politik unserer Kommunen ausgeübt zu haben. Und – Trommelwirbel und Fanfarenklang – sogar auf die Politik Europas.

Doch zuerst einmal zu den Begrifflichkeiten. Eine repräsentative Demokratie wie die unsere zeichnet sich dadurch aus, dass der Souverän „Wähler“ in regelmäßigen Abständen seine Stimme abgibt. Nach Auszählung der Stimmen steht dann fest, welche Partei zukünftig wie viel Einfluss auf das politische Geschehen haben wird. Im Grunde klingt das ganz gut – zumindest, wenn man sich darauf verlassen könnte, dass Wahlversprechen auch eingehalten werden.

Der negative Nebeneffekt ist allerdings, dass der Wähler nach der Stimmabgabe keinerlei Einfluss mehr darauf hat, welche Politik in seinem Namen gemacht wird. Einzige direkte Einflussmöglichkeit ist in einer repräsentativen Demokratie nämlich der Lobbyismus. Und diese Möglichkeit wird von Finanz- und Wirtschaftsunternehmen auch gern und vor allem oft genutzt. Dem Souverän „Wähler“ steht sie allerdings nicht zur Verfügung. Und von Seiten diverser Politiker ließ man diesbezüglich bereits des Öfteren verlauten, dass eben dieser Souverän – ihr Arbeitgeber also – auch zukünftig nicht in der Lage sein soll, direkteren Einfluss auf das zu nehmen, was man in seinem Namen beschließt und durchführt.

Direkte Demokratie ist nicht erwünscht.

Darüber kann man nun denken, was man will. Ich persönlich zöge es allerdings schon vor, mich in solchen Angelegenheiten wie z.B. den diversen Freihandelsabkommen an den Entscheidungen zu beteiligen. Denn immerhin muss ich ja auch mit den Auswirkungen leben.

Aber kehren wir noch einmal zurück zur repräsentativen Demokratie. Und stellen wir uns die grundlegende Frage: Kann sie überhaupt funktionieren?

Die Antwort ist einfach. Ja. Sie kann. Allerdings nur dann, wenn die gewählte Regierung konsequent und ausschließlich die Interessen der Wähler vertritt. Und das bedeutet im Umkehrschluss, dass es weder Lobbyismus geben dürfte, noch irgendwelche Hinterzimmerpolitik. Dass Politiker grundsätzlich nicht in Aufsichtsräten von Finanz- oder Wirtschaftsunternehmen sitzen dürften und Politikerkorruption hart geahndet werden müsste. Und dass die Medien als „vierte Macht im Staate“ die Aufgabe erfüllen müssten, jedweden Verstoß gegen diese Regeln aufzudecken und gnadenlos anzuprangern, statt diese zu begünstigen und sich sogar daran zu beteiligen. Denn sonst ist eine repräsentative Demokratie nichts als eine gut verpackte und clever vermarktete Lüge. Womit wir wieder bei der Alibi-Funktion der Wahlen wären.

Werfen wir doch einen kritischen Blick auf das, was dort zur Auswahl steht:

Spielen Grundsätze und Programmatik überhaupt noch eine Rolle?

Zunächst einmal haben wir da die Herrschaften zweier Parteien, die sich „christlich“ nennen. Den Unterschied zwischen „sozial“ und „demokratisch“ halte ich dabei für relativ geringfügig, zumal ich persönlich mittlerweile immer mehr den Eindruck gewinne, dass man in diesen Kreisen die Bibel schon vor einiger Zeit weggeschlossen hat und nun auf diverse Freihandelsabkommen schwört, die weder das eine noch das andere symbolisieren. Ich halte diese Art von Politik für nicht sonderlich glaubwürdig.

Die zweite Option ist eine Partei, deren Vorsitzender vor der letzten Bundestagswahl noch ausdrücklich betonte, dass man keine genmanipulierten Lebensmittel wolle. Laut, deutlich und sehr pathetisch. Als Mitglied der GroKo sieht man das jetzt aber völlig anders. Jetzt sind eben diesem Herrn die voraussichtlichen 0,5 Prozent Wirtschaftswachstum offenbar jedes Opfer der Wähler wert. Da spielen sich „vor der Wahl“ und „nach der Wahl“ nicht einmal im gleichen Universum ab. Die gleiche Partei stellt übrigens auch unseren Außenminister, einen Mann, der in Kiew in aller Öffentlichkeit die Hände von Faschisten schüttelt und deren Gegner als Separatisten verunglimpft. Meiner Meinung nach ist beides nicht sonderlich Vertrauen erweckend.

Dann gibt es da noch eine Partei, die alles verraten hat, wofür sie einstmals stand, indem sie dazu übergegangen ist, wie ihre Kollegen aus den vorstehenden Beispielen für verantwortungslose Politik, Auslandseinsätze der Bundeswehr zu befürworten. Offenbar hält man in deren Reihen seit einiger Zeit das Blut unschuldiger Zivilisten oder radioaktiven Fallout für Naturdünger. Das ist in meinen Augen absolut nicht hinnehmbar.

Über die Herrschaften von weiter rechts und rechts außen lasse ich mich gar nicht erst aus. Ich bin für eine tatsächlich funktionierende Demokratie. Noch totalitäreren Müll als bisher müssen wir uns nun wirklich nicht antun. Und jenen, die man womöglich mit dem „Migrantenproblem“ geködert hat, möchte ich an dieser Stelle mal ein paar logische Gedankengänge nahelegen. Solange wir selbst nämlich im Interesse des eigenen Wohlstands über unsere Militär- und Wirtschaftsbündnisse dazu beitragen, in anderen Ländern Kriege zu führen oder deren Wirtschaft so zu beeinträchtigen, dass dort große Teile der Bevölkerung verelenden, dürfen wir uns wohl kaum über die Kehrseite dieser Medaille beklagen. Wie in jedem anderen Fall gilt auch hier: Die Ursachen des Problems müssen beseitigt werden. Stattdessen einfach etwas gegen die Symptome zu unternehmen wäre lediglich Make up und völlig verantwortungslos.

Ganz ehrlich? Für mich persönlich sehe ich nach all den obigen Betrachtungen nicht mehr sonderlich viel Auswahl.

Das große Schweigen

Aber unabhängig davon, wie jeder einzelne sich am Sonntag entscheidet, ist Fakt, dass unsere Demokratie schrittweise immer weiter demontiert wird. Fremde Interessen werden inzwischen ganz offen über die der Wähler gestellt. Und wir unternehmen nichts dagegen. Wir schweigen dazu. Ich sehe es jeden Tag.

Zugegeben, es ist eigentlich kein richtiges Schweigen. Nein, gemeckert wird wie immer überall. Im Supermarkt über die Lebensmittelpreise. Auf der Post über das Porto. An der Tankstelle über die Treibstoffpreise. An jedem einzelnen dieser Orte über das niedrige Einkommen allgemein, die niedrigen Löhne im Besonderen und natürlich über die KoBa, was in dem Landkreis, in dem ich zu Hause bin, die Entsprechung der Arge ist.

Und über die Politik regt sich nun wirklich jeder auf. Darüber, dass „die da oben“ einfach „machen, was sie wollen“.

Wir alle schweigen verdammt laut, wenn ich das mal so sagen darf.

Aber was ist es anderes als Schweigen, wenn ich meinen Unmut zwar kundtue, aber an der falschen Stelle? Was kann die Kassiererin im Supermarkt an den Schikanen von Hartz 4 ändern? Welchen Einfluss hat die Frau bei der Post auf die Benzinpreise? Oder der Verkäufer an der Tankstelle auf das Lohngefüge, insbesondere den Billiglohnsektor? Und ist es nicht merkwürdig, dass irgendwie alle der gleichen Meinung sind, aber immer nur hinter der vorgehaltenen Hand?

Unser Land ist zur „Schweigenden Republik“ geworden.

Ist es da ein Wunder, dass man uns mittlerweile für obrigkeitshörig und feige hält? Verhalten wir uns nicht genau so? Jeder sieht die Probleme um sich herum. Jeder kennt mindestens eine Person, wenn nicht gar mehrere, die hart darum kämpfen müssen, um wenigstens einigermaßen über die Runden zu kommen, oder ist sogar selbst von den Schwächen unseres Systems betroffen. Aber wenn man etwas dazu sagt, dann entweder hinter verschlossener Türe, aus der eingebildeten Anonymität eines Facebook-Accounts mit einem niedlichen Fantasienamen heraus oder nur zu anderen Menschen, die an genau derselben die Demokratie immer weiter zersetzenden Artikulationsstörung leiden. Und wenn es gar darum geht, etwas zu tun, aktiv zu werden, ist es ganz vorbei. Die meisten warten darauf, dass jemand kommt, der es für sie tut. Der sich für sie einsetzt. Der es ihnen schön und bequem macht, so dass sie sich nicht selbst bewegen, geschweige denn äußern müssen.

Jemand, der den Kopf für sie hinhält.

Findet sich tatsächlich ein solcher Jemand, so wird höflich Beifall gespendet, aber natürlich möglichst dezent, denn auch dabei will man ja nicht auffallen. Oder er wird in der Luft zerrissen, weil er es nicht genau so macht, wie der Untätige sich vorstellt, dass es gemacht werden sollte. Und wenn derjenige dann womöglich scheitert – weil einer allein eben nichts bewegen kann – dann wird entweder bedauernd oder gar schadenfroh mit den Achseln gezuckt. Und hinterher beschweren sich wieder alle, weil alles beim Alten ist.

Weil „die da oben“ noch immer „machen, was sie wollen“.

Und was in meinen Augen das Schlimmste ist: Als Folge des Achselzuckens beim Scheitern des armen Alleingelassenen bleibt der Kopf gleich noch ein gutes Stück tiefer als zuvor zwischen den Schultern stecken. Nur nicht auffallen. Nur nichts sagen. Nur nichts tun, wofür man vielleicht die Verantwortung übernehmen müsste.

Inzwischen stehen wir vor dem Trümmerhaufen der Demokratie in Europa. Dazu, dass es so weit gekommen ist, haben wir mit unserem Schweigen maßgeblich beigetragen. Politik wird mittlerweile ganz offen über unsere Köpfe hinweg gemacht. Wir werden manipuliert, belogen und betrogen. Man kann das mit uns machen, weil wir uns dumm und verantwortungslos verhalten. Und weil jeder nun einmal nach seinen Taten beurteilt wird – nicht nach seinen Worten im stillen Kämmerlein.

Also verkauft man uns, den dummen, schweigenden Wählern, ganz ungeniert TTIP, CETA und TISA als Wirtschaftswunder, obwohl von vorn herein völlig klar ist, dass diese Wunder sich nur auf die Guthaben diverser großer Konzerne auswirken und dass das angebliche Wirtschaftswachstum selbst im günstigsten Falle kaum ins Gewicht fallen wird. Mexiko zum Beispiel hat nach der Unterzeichnung eines solchen Abkommens namens NAFTA mit den USA und Kanada leidvoll erfahren müssen, dass alles, was vorher schon im Argen lag, sogar noch viel schlimmer werden kann. Ein sprunghafter Anstieg der Arbeitslosenzahlen war die Folge.

Was werden die Politiker in Brüssel sagen, wenn es auch bei uns so weit ist? „Ups, wir haben uns wohl verrechnet, tut uns leid? Aber da wir schon mal dabei sind, wie wäre es mit einer leckeren Portion Sozialabbau für das Wahl- und Zahlvieh?“

Falls sie sich diesbezüglich überhaupt zu einem Kommentar herablassen, wird er vermutlich genau so lauten. Allerdings marketingtechnisch besser verpackt. Denn auch Niederlagen sind schließlich Siege, nicht wahr? Jedenfalls für jemand anderen. Und wir werden dann immer noch schweigend dastehen und brav hinnehmen, was man uns zuteilt. Denn mit uns kann man es ja machen. Wir sind ja Kummer gewöhnt. Wir sind ja gehorsam – und stolz darauf.

Wir sagen ja nichts. Wir tun ja nichts. Wir schweigen nur laut, während wir weiterhin brav unsere Stimmzettel ausfüllen und uns dann einreden, aktiv auf die Politik in unseren Kommunen und – Trommelwirbel und Fanfarenklang – ganz Europa Einfluss genommen zu haben. Unsere Pflicht uns und unseren Kindern gegenüber erfüllt zu haben.

An diesem Punkt stellt sich mir allerdings die Frage: Haben wir das? Haben wir das wirklich?

Ich denke, der Gang zur Wahlurne reicht nicht länger aus. Ich persönlich wähle mittlerweile beinahe jeden Tag. Und zwar mit meiner Brieftasche. Denn wenn ich mich dagegen entscheide, bestimmte Konzerne zu „unterstützen“, indem ich ihre Produkte konsumiere, wenn ich mich dafür entscheide, das Auto stehenzulassen, wenn ich örtliche Erzeuger unterstütze, mein Obst und Gemüse selbst anbaue oder es wie meine Eier direkt vom Bauern kaufe, dann bewirke ich etwas. Nur im Kleinen, sicher. Aber auch eine einzelne Stimme in einer Wahlurne ist schließlich nur ein winzig kleiner Beitrag zum Wahlergebnis. Und wenn jeder so handeln würde, wäre dies ein unübersehbares Statement, welches „die da oben“ nicht lange ignorieren könnten.

Ja, ich gehe am Sonntag zur Wahl und gebe meine Stimme einer Partei meines Vertrauens. Aber dabei bleibe ich nicht länger stehen. Ich lasse mein Wahlrecht, mein Mitspracherecht nicht länger auf einen einzigen Tag alle paar Jahre beschränken. Und ich wähle ganz bewusst die Möglichkeit, mich über mein Konsumverhalten weitestgehend von einer Politik zu distanzieren, die zwar in meinem Namen gemacht wird, aber nicht in meinem Sinne ist.

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