Vor beinahe einem Jahr hat sich ein gewisser Thomas Müller aus dem beschaulichen Saarland in Form eines offenen Briefes an seine „Intimfeindin“ Angela Merkel samt ihrer „Verbrecherorganisation“, eher in der öffentlichen Wahrnehmung als Bundesregierung bekannt, gewandt. Kernaussage seiner Beschwerde war die Empörung über die seiner Ansicht nach ausufernden Steuerabgaben bei freiwillig gezwungener Mehrarbeit. Faktisch bekommt das Finanzamt bei Überstunden oder Sonn- & Feiertagsarbeit in ungünstigen Fällen mehr als die Hälfte des erarbeiteten Lohnes. Der Staat ist quasi stiller Teilhaber redlicher Arbeitnehmer.
Verantwortlich für dieses Dilemma ist die aktuelle Steuergesetzgebung, insbesondere die sogenannte „kalte Progression“. Auf einen einzigen Satz vereinfacht herunter gebrochen bedeutet das:
Eine Steigerung des Nominaleinkommens in Höhe der Inflationsrate führt zu einer höheren Einkommensteuer, obwohl das Realeinkommen und damit die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen nicht gestiegen ist.
Das komplizierte und komplexe Zahlenwerk der Steuerberechnung scheint marode zu sein und wird immer wieder kritisiert. So ist es häufig der Fall, dass sich eine Lohnerhöhung im Endeffekt negativ auswirken kann. Das ist paradox, aber auch real, insbesondere weil dennoch die Schere zwischen arm und reich unaufhörlich auseinander klafft. Dass die etablierte Politik beharrlich dafür sorgt, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer werden, indem ungerecht empfundene Steuersätze, merkwürdige Abschreibungsmöglichkeiten und willkürliche Steuerentlastungen per Gesetze legitimiert wurden, ist im Bewusstsein der Wähler offenkundig nicht angekommen. Immer wieder erschreckend wirkt die plakative Feststellung, dass ein durchschnittlicher Arbeitnehmer bis in den Monat Juli hinein ausschließlich fürs Finanzamt arbeiten geht, würde man Steueranteil und Reallohn auf der Zeitachse eines Jahres bildlich darstellen.
Dass Großkonzernen Möglichkeiten eröffnet wurden, ihre Steuerlast zum Teil so erheblich zu senken, sodass ein Frisörmeister oder eine Hebamme neidisch werden könnten, veranschaulichen die jüngsten Veröffentlichungen unter dem Namen „Luxemburg Leaks“.
Das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) veröffentlichte geheime Dokumente, welche eindrucksvoll belegen, wie etliche Konzerne mit Unterstützung der Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers (PwC) ihre Steuerlast phänomenal reduzieren können. Man könnte es als skandalös empfinden, dass das Herzogtum Luxemburg maßgeblich diesen Steuerbetrug, den man öffentlich so nicht bezeichnen möchte, Vorschub leistet.
Globalplayer wie Amazon nutzen ausgiebig diese fragwürdigen Methoden jenes kleinen EU- Mitgliedsstaates, dessen ehemaliger Premierminister Jean- Claude Juncker kürzlich mit konservativer Mehrheit zum EU- Kommissionspräsidenten gekürt wurde. Auch renommierte deutsche Unternehmen wie E.on oder die Deutsche Bank partizipieren augenscheinlich gern von den Vorzügen einer Steueroase im Herzen der Europäischen Union.
Steuersündigen ist offensichtlich zur krankhaften Beschäftigungstherapie der Gierigen geworden, weil die Unfähigkeit sowie die bewusste Duldung durch die politisch Verantwortlichen in der Bundesregierung bis ins europäische Parlament es ermöglichte.
Tragisch ist es für redliche Kleinunternehmer, die im Wettbewerb mit jenen Konzernen hoffnungslos unterlegen sind und nicht zuletzt dadurch in die Insolvenz getrieben werden. Es ist ein Schlag ins Gesicht eines jeden ehrlichen Steuerzahlers, der sich vergebens einen Lucky Luke herbei wünscht und jener Daltons Bande kräftig den Marsch blasen würde.