Der gemeine Saarländer besitzt in seiner evolutionsbiologischen Charakteristik eine gelassen gemütliche Grundkonstitution. Das ändert sich schlagartig mit Beginn der Adventszeit…
Wer nicht pünktlich zum 1. Advent eine Fichte oder mindestens eine Kirschlorbeerhecke im Vorgarten mit einer 200 LED Lichterkette als ernsthafte Konkurrenz zur kommunalen Straßenbeleuchtung ausgestattet hat, muss damit rechnen, tags darauf zum empörten Gesprächsthema an der Wursttheke zu avancieren. Eine vorweihnachtliche „Challenge“, wie man heutzutage inoffizielle Wettkämpfe von bisweilen derber Sinnlosigkeit nennt, hat die Saarländer jäh aus ihrer Lethargie entfesselt.
Schlehdorn Walter aus der Friedhofsgasse, ehemaliges Grubenrind und autodidaktischer Schwenker- Bastler, legt mit seiner Dachrinnen- Mobilkonstruktion die Messlatte für die Beleuchtungskonkurrenz gewaltig hoch an. Ein beleuchteter Schlitten samt 8 Rentieren aus selbst geflochtenem Schießdraht rollt die 10 Meter lange Hausfront, angetrieben von einem ausgebauten Waschmaschinenmotor, entlang. Der modifizierte Schleudergang des einstigen Haushaltsgeräts katapultiert das Gefährt am Ende seiner Fahrt zum Ausgangspunkt zurück, sodass man das etwa 2 Meter lange Lichtobjekt mit einem tieffliegenden Kometen verwechseln könnte. Den Bremsmechanismus hat der ambitionierte Bergmannskumpel noch nicht ausgereift perfektionieren können, was Zweifel daran aufkommen lässt, dass sein Konstrukt bis zum Heiligabend durchhalten wird.
Nachbar Schmitt Ewald war selbstverständlich nicht untätig und mit investigativer Energie, welche er seit seiner Pensionierung als Steuerbeamter in keiner Weise verlernt hat, konnte er sich seit Juli auf das Projekt des Kontrahenten vorbereiten. In diesem Jahr soll mit ausgefeilter Computertechnik der monströsen Mechanik aus der unmittelbaren Nachbarschaft effektiv entgegen gewirkt werden. Jede seiner insgesamt 1200 Dachziegel hat er mit einer Multicolorleuchtdiode bestückt, welche einzeln per Funksignal angesteuert werden können. Im Wechsel der frequenzabhängigen Tonhöhe des Weihnachtsliedes „Oh Tannenbaum“ erleuchtet rhythmisch und in Farbe die zur Straße um 38 Grad geneigte Dachfläche, sodass er sich hierfür eigens eine Feuerwerksgenehmigung der Klasse 2 von der zuständigen Gemeindeverwaltung einholen musste.
Etwas gediegener, allerdings nicht weniger aufwendig will Großfamilie Kannengießer der weihnachtlichen Vorfreude begegnen. Sie bewohnen mit 3 Generationen und insgesamt 13 Einzelpersonen das mehrstöckige Gebäude am Ende der Gasse. Es handelt sich um ein landestypisches Doppelhaus, wobei beide Fronthälften nach architektonischer Präzision vollkommen gleich auszusehen scheinen. Die ungewöhnlich vielen, allerdings auch putzig kleinen Fenster können praktischerweise wie eine zweistellige Digitalanzeige zweckentfremdet werden. Mit ebenso vielen Zeitschaltuhren werden eigens angebrachte Leuchtelemente in den Fensterrahmen so gesteuert, dass in korrekter Kombination der jeweilige Kalendertag als Gesamtkunstwerk die Hauswand schmückt.
Weniger ambitioniert gibt sich der bekennende Langzeitarbeitslose Müller Erwin, indem er einen Ring Lyoner schlicht mit 4 Bierflaschen ziert. Jeden Adventssonntag öffnet er ein Pils und prostet genüsslich den Nachbarn zu, welche in Unverständnis kopfschüttelnd vom Fenster verschwinden, sobald sie sich entdeckt fühlen.
Als vor 8 Jahren zugezogener, ehemaliger Pfälzer hat es der Klostermann Manfred ungleich schwerer, seine durchaus vorbildlichen Integrationsbemühungen erfolgreich voranbringen zu können. Mit einer Flutlichtkonstruktion provozierte er im vergangenen Jahr einen kollektiven Besuch von Mitarbeitern der Flugsicherung und des Bundesgrenzschutzes. Es führte zur abrupten Disqualifikation im vorweihnachtlichen „Contest“ und zu Abzügen in der B- Note durch den Vorstand des Heimatvereins beim Frühschoppen nach dem Hochamt. Sozusagen „gelb vorbelastet“, aber keineswegs entmutigt, trägt sein Engagement endlich die erhofften Früchte. Sichtlich beeindruckt registriert die kritische Nachbarschaft seine imposante Beamer- Projektion von Fußballergebnissen in Echtzeit beginnend mit der Kreisliga bis zur Bundesliga. Die fensterlose linke Hauswand eignet sich hervorragend als Projektionsfläche, während 5 speziell dafür gepflanzte Douglastannen als dezente Umrandung eine räumliche Wirkung ausstrahlen.
Das Saarland ist bestens vorbereitet, Weihnachten kann kommen. Wie begegnet ihr eigentlich dieser alljährlichen Herausforderung?